"Abfangjäger"

Frankreichs Erfolgsgeheimnis entschlüsselt

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Frankreichs Teamchef Deschamps über Kante: 'Auf seiner Position der Beste der Welt'.

168 Zentimeter sind neben exzentrischen und umjubelten Stars leicht zu übersehen. Doch Frankreichs N'Golo Kante ist bei der Fußball-WM in Russland weit mehr als ein kleines Rädchen eines geschmiert laufenden Systems: Spielt der defensive Mittelfeldspieler gut, läuft es für die Gegner meist schlecht. Und das schafft der Profi vom englischen Spitzenclub Chelsea mit beeindruckender Beständigkeit.

Es stimmt, dass Stürmer-Jungstar Kylian Mbappe die stolzen Argentinier aus der WM schoss und doch ist es nur die halbe Wahrheit. Es gibt in Frankreichs Spielmitte nämlich einen, dessen Anteil am Coup ebenso beträchtlich war: Kante, dieser nimmermüde Dauerläufer, stoppte Lionel Messi. "Er hat bei uns eine ganz wichtige Rolle und oft bekommt er noch eine besondere Aufgabe", sagte Frankreichs Teamchef Didier Deschamps zuletzt über Kante. Messi, dann Belgiens Kevin De Bruyne, und im Finale gegen Kroatien am Sonntag (17.00 Uhr) im Moskauer Luschniki-Stadion könnte Kante auf Kroatiens Kreativspieler Luka Modric angesetzt werden.

Dass Frankreich auf dem Erfolgsweg nur vier Gegentore hinnehmen musste, ist neben der von Raphael Varane und Samuel Umtiti hervorragend gemanagten Defensive auch Kantes Werk. Mit seiner Laufstärke und Antizipation ist er der erfolgreichste Abfangjäger der WM. Er nimmt den Verteidigern die Arbeit ab und gibt den ballgierigen Offensivspielern bereitwillig das Spielgerät.

Arsene Wenger, der langjährige Arsenal-Trainer, nannte ihn zu Beginn des Turniers "einen der einflussreichsten Mittelfeldspieler, die ich je habe Fußball spielen sehen". Deschamps zählte Kante bereits früher auf dessen Position als "besten Spieler der Welt" auf. Damals war es eine frühe Huldigung, heute hat er damit womöglich sogar recht.

Fleißige Biene mit 15 Lungen

Gemeinsam mit Österreichs ehemaligem Teamkapitän Christian Fuchs schrieb Kante federführend das Titel-Märchen von Leicester City 2016. Es war der Aufstieg des Mannes, der erst 23-jährig sein Erstligadebüt feierte. Mit 19 Jahren - so alt ist Teamkollege Mbappe jetzt - kickte er noch in der neunten französischen Liga. Am Ende der Saison mit Leicester hatte Kante mehr Bälle erobert und war in mehr Tacklings gegangen als jeder andere Spieler auf der Insel. Der Wechsel zu Chelsea um knapp 36 Millionen Euro war ein logischer Schritt.

Kante ist bienenfleißig, auch in Russland hat er laut der offiziellen FIFA-Statistik bereits 58 Mal das Spielgerät instinktsicher gestohlen, dafür musste er angeblich zu nur drei Tacklings greifen. "Ihn zu haben, ist wie zu zwölft zu spielen", meinte kürzlich Mittelstürmer Olivier Giroud. Paul Pogba attestierte seinem Nebenspieler "15 Lungen" zu haben. Kante versicherte aber relativ spaßbefreit, er sei nur ein Mensch und habe deshalb auch nur eine Lunge. In Leicester widmete man ihm trotzdem ein T-Shirt mit dem Spruch: "Zwei Drittel der Erde werden von Wasser abgedeckt. Der Rest von N'Golo Kante."

"N'Golo kann zehn Stunden laufen", sagt Belgien-Star Eden Hazard über seinen Chelsea-Clubkollegen, der als eines von neun Kindern einer aus Mali stammenden Familie in der Vorstadt von Paris aufwuchs. Doch Kante auf sein Laufpensum zu reduzieren, wäre völlig falsch. Er ist vor allem auch ein Spielvereinfacherer. Er treffe "ständig simple Entscheidungen und macht das Spiel nie zu kompliziert", urteilte Arsenal-Legende Wenger. Kante ist kein offensichtlicher Star, keiner für die Kameras. Doch wenn am Sonntag Kroatiens Angriffe versanden, ist es sehr wahrscheinlich, dass Kante wieder seine Beine im Spiel hatte.

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