Magersucht-Vorwürfe gegen "Schlieri" überschatten Bergisel-Springen. Innauer verteidigt den Jungadler.
Nach außen hin gab sich Gregor Schlierenzauer gelassen – die Gerüchte um seine Magersucht würden ihn nicht kümmern. Doch das Kesseltreiben gegen den neuen österreichischen „Adler“ verfehlte seine Wirkung nicht. Nur der 11. Platz beim Springen auf dem Bergisel in Innsbruck. In der Gesamtwertung ein Absturz vom ersten auf den 7. Rang.
Proteststurm
Begonnen hatte der Abschwung des Adlers mit der
Unterstellung des finnischen Cheftrainers Tommi Nikunen: Schlierenzauer sei
untergewichtig, nur deshalb springe er so weit. Finnische Medien
verbreiteten daraufhin, Schlierenzauer sei magersüchtig.
ÖSV-Nordisch-Direktor Toni Innauer verteidigt seinen neuen Star vehement:
„Das stimmt nicht. Schlierenzauer hat das Gewicht eines Jugendlichen, weil
er ein Jugendlicher ist.“ ÖSV-Cheftrainer Alexander Pointner pflichtet bei:
„Was da passiert, ist nicht sportlich. Jeder Athlet wird kontrolliert.“
Gewichts-Kontrolle
Tatsächlich werden die Springer bei jedem
Wettkampf gemäß einem seit 2004 geltenden Reglement gewogen. Größe und
Gewicht des Athleten werden kombiniert und ein Körpermasse-Index errechnet.
Ist ein Springer untergewichtig, muss er mit kürzeren Skiern antreten.
Kürzere Skier bedeuten weniger Luftauftrieb und damit eine geringere
Sprungweite.
Innauer für Verschärfung
Österreich trat in den
vergangenen Monaten zwei Mal für eine Verschärfung des Regelwerks ein: Noch
kürzere Ski bei Untergewicht, sagt Cheftrainer Toni Innauer. Doch die
anderen Nationen hätten eine Einigung verhindert. Der Manager von Andreas
Goldberger Edi Federer, selbst einst erfolgreicher „Adler“, verlangt
Ähnliches: „Der Body-Mass-Index muss raufgesetzt werden. Die Athleten müssen
durchschnittlich ein bis zwei Kilo mehr wiegen.“
Problem Magersucht
Tatsache ist, dass der Skisprungzirkus seit
Jahren mit dem Problem der unterernährten Sportler kämpft. Zuletzt erregten
die Essgewohnheiten der Deutschen Sven Hannawald Aufsehen, der trotz seiner
1,83 Meter Größe nur 54 Kilogramm auf die Waage brachte.
Ernährungsbasis Honig
„Es gab einige Springer, die sich nur
noch von einem Löffel Honig ernährt haben und das auch nur um keinen
Unterzucker zu bekommen“, bringt es Ex-Skispringer Armin Kogler auf den
Punkt. Dieser Trend wurde durch dicke Sprunganzüge und lange Skier noch
verstärkt. „Man brauchte überhaupt keine Sprungkraft mehr, der Leichteste
hat gewonnen“, so Kogler.
ÖSV-Ernährungsberater
Der Österreichische Skiverband
sei diesen Trend nie mitgegangen. Als es Zwischenfälle bei jungen
Skispringern im Skigymnasium Stams gegeben habe – unter anderem brach ein an
Bulimie leidender Nachwuchsskispringer entkräftet zusammen – habe man sofort
reagiert. „Seither gibt es in Stams Ernährungsberater“, sagt Kogler.
Langsame Umstellung
Es dauerte Jahre, bis sich der
Internationale Skiverband FIS des Problems bei den anderen Nationen annahm
und 2004 die geltenden Körpermasselimits einführte, die nun die Athletik der
Skispringer mehr betonen. „Sprungkraft und Dynamik sind wieder gefragt,“
sagt Ex-Adler Armin Kogler. „das sind Eigenschaften, die außer
Schlierenzauer nur noch 10 Leute im Weltcup haben“, so Kogler.
1.500 Kalorien pro Tag
Besonders viel essen Schlierenzauer und
Co. trotzdem nicht: „1.500 Kalorien pro Tag, nicht viel mehr“, schätzt Armin
Kogler. Im Vergleich dazu nimmt ein Erwachsener 2.500 Kalorien zu sich.
Von Elisabeth Hirt und Oliver Tanzer/ÖSTERREICH